November Rain

Damit diese Kategorie nicht gänzlich leer bleibt. Vor sehr vielen Jahren geschrieben, als Computer und das Internet noch lange nicht so präsent waren, wie sie es heute sind.

Viertel nach sechs an einem Donnerstag im November. Wie so oft in den letzten Tagen, regnete es. Ein Tag wie jeder andere. Jeder der Passanten der kleinen Stadt hatte es eilig, nach Hause zu kommen. Keiner achtete sonderlich auf den anderen. Warum auch, man kannte sich schließlich nicht.

Das ging auch dem jungen Mann, der mit dem Rücken an das Bushäuschen gelehnt die Menschen beobachtete, nicht anders. Auch er hatte ein Ziel. Doch sein Ziel war keine Familie, keine Frau, keine Kinder. Alles, was auf ihn wartete, passte in einen Karton. Dabei wünschte er sich nichts sehnlicher, als einen Menschen, zu dem er nach Hause kommen konnte. Sein Single-Leben dauerte schon viel zu lange an. So lange, dass er selber nicht mehr genau wusste, wie lange. Und ein Ende war nicht in Sicht, egal wie sehr er sich anstrengte.

Seine Blicke folgten einer jungen Frau, vermutlich kaum jünger als er selber. Sie schaute nicht nach rechts und links, sondern lief weiter. Wie alle anderen beachtete auch sie ihn nicht.
Er war sicherlich nicht der Traummann auf den alle Frauen warteten, wie er selber nur zu gut wusste. Er konnte nicht mit den meisten Männern mithalten. Er war nicht sonderlich groß und das ein oder andere Kilo würde er auch gerne loswerden. Kein Wunder, dass sich niemand für ihn interessierte und so langsam gab er auch die Hoffnung auf.

Christian fuhr sich mit den Fingern durch die kurzen, dunkelbraunen Haare. Der Friseurtermin war längst wieder überfällig. Doch wofür. Mit einem leisen Seufzer stieß er sich von dem Bushäuschen ab und ging auf den herannahenden Bus zu. Dieser Abend würde nicht anders laufen, als die anderen Abende auch. Und wie es vermutlich noch die nächsten Jahre weitergehen würde. Er stieg in den Bus ein. Die blonde Frau, die ihn anrempelte, entschuldigte sich nicht einmal. Christian ließ sich auf den ersten freien Platz fallen und beobachtete die Leute im Bus. Die grün-blauen Augen, die ihn beobachteten, die sah er nicht, denn dazu hätte er sich umdrehen müssen.

Eine viertel Stunde später stand Christian vor dem, was im Moment fast schon zu seinem einzigen Lebensinhalt geworden war. Er schaltet den Computer ein. Ohne überhaupt darüber nachzudenken, startete er ein kleines Programm und war Sekunden später in einer Welt, die ihm längst näher geworden war, als die Realität. Hier, so glaubte er, kannte er die Menschen. In diesem Chat redete man mit ihm. Vielleicht nicht immer freundlich, aber zumindest wurde er nicht ignoriert, wie von der Frau im Bus. Und vielleicht verbarg sich ja hinter einem der vielen Nicknamen sogar seine Traumfrau. Seiner Meinung nach war die Chance hier um ein Vielfaches größer, als in der Welt dort draußen vor seinem Fenster die richtige Frau zu finden.

Seine Finger tippten Buchstaben, Worte, Sätze. Die Antworten waren selten, was er erwartete. Die meisten weiblichen Wesen in diesem Chat reagierten selten auf ihn und auch Neulinge zogen andere Chatter vor. Chatter, die wortgewandter waren als er, oder lustiger. Christian hatte mehr als einmal versucht, diese Chatter zu kopieren. Der Erfolg war niederschmetternd gewesen. Die einzigen Chatterinnen, die auf seine Kommentare reagierten, waren entweder Frauen, die ohnehin alles nahmen, was nur annähernd männlich war, oder, was noch schlimmer war, sie entpuppten sich nach vielversprechenden Unterhaltungen als Männer. Einzig mit dem Ziel, ihn selber mal wieder lächerlich zu machen.

Christian nahm die Finger von der Tastatur und starrte einen Moment auf den Monitor. Wieder einmal war es einem Chatter gelungen, ein weibliches Wesen, auf das Christian ein Auge geworfen hatte, in ein Gespräch zu verwickeln. Christians Worte wurden gänzlich ignoriert. Er gab wieder einmal auf.

Leise seufzend stand er auf, ging zu dem Fenster seines Schlafzimmers und schaute in die Dunkelheit hinaus. Er konnte nicht sagen, wann der Regen in Schnee übergegangen war. Ebenso wenig konnte er sagen, wer in dem Haus gegenüber wohnte. Vor einem Jahr waren die Möbelwagen gekommen. Einmal hatte er eine Frau gesehen. Sie hatte braune Haare. So viel wusste er. Er war nie drüben gewesen. Wozu auch. Sie würde ihn ohnehin nur ignorieren. Er drehte sich um und ging zum Schreibtisch zurück. Es war viel zu dunkel, als dass er die Blicke aus dem gegenüberliegenden Fenster hätte bemerken können. Blicke aus blau-grünen Augen, die ihn schon seit Wochen beobachteten.

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